Das Thema meiner Zeichnung hat einen direkten Bezug zum Leben – zum eigenen Wohlbefinden, zum Leben innerhalb eines Bauwerkes, eines Hauses, aber auch einen direkten Bezug zur Freimaurerei. Kann man das überhaupt trennen?

Fragen zum Bauen

Architekten oder Ingenieure mögen mir den Umgang mit der Auflistung und der Beantwortung der nachfolgenden Fragen nachsehen, mir kommt es vor allem auf die Perspektive an:

  • Warum bauen Menschen?
  • Was ist Ihre Motivation?
  • Was ist der Nutzen oder Zweck eines Bauwerks?
  • Ein großes Bauwerk? Gut.
  • Wer baut?
  • Wie baut man?
  • Hält das?
  • Und wer sagt, wie man das baut?
  • Wie sieht das alles hinterher überhaupt aus und was werden die Nachbarn sagen ?
  • Was muß ich alles bedenken?
  • Wer kann all dies entscheiden?
  • Wer soll das alles schließlich bezahlen?
  • Ist es der Plan?
  • Ist es die Ausführung?
  • Ist es ein Zusammenspiel von vielen Faktoren, die das Bauen ermöglichen?

Ich möchte versuchen, einen Teil dieser Fragen zu beantworten. Bei allen Formen des Bauens gilt das gleiche Prinzip. Von der Idee zur Planung, von der Umsetzung und Ausführung zur Wirkung und zur Zweckmäßigkeit.

Ein Bild vor Augen haben, einen Entwurf machen, Stein auf Stein die Gestaltung des Baukörpers vornehmen. Erfahrung führt zur Umsetzung des Entwurfes, dann die Ausführung; helfende Hände; eine fest geordnete Struktur, die das alles festlegt, regelt, eingreift und kontrolliert.

Dies ist beim Bau der Pyramiden nicht anders gewesen als bei der neuen Planung für Ground Zero in New York. Alles hat seine Motivation, seine feste Struktur – seine Systemabläufe.

Vor Beginn eines Bauwerks müssen alle der oben genannten Fragen beantwortet sein. Mit einem bloßen Aufeinanderstapeln einzelner Materialien, von Bauelementen und von Steinen, wäre es nicht getan, es bedarf einer konstruktiven Befestigung der einzelnen Stoffe, bzw. der Steine Der Bau braucht insgesamt einen Zusammenhalt; über den einen alles umfassenden Plan hinaus, der von der Grundsteinlegung bis zum Firststein alle Eventualitäten bedenkt.

Um die zuvor genannten Fragen zu beantworten, möchte ich mich auf den Baustil in einer besonderen Epoche festlegen:

Die Gotik

Ich möchte versuchen, einiges in Bezug auf das Bauen, insbesondere auf das Bauen in Bezug zur Freimaurerei abzuleiten.

Durch die Gotik änderte sich nicht nur die Bauweise, sondern auch die Werkstoffe und deren Bearbeitung. Bis in das 12. Jahrhundert des letzten Jahrtausends hinein behauptete sich der romanische Stil mit ins Großartige sich entwickelnden Dombauwerken. Der romanische Baustil war massiv und schwer. Eine neue Sprache der Baukunst wurde bereits um 1140 beim Bau der Basilika von St. Denis entwickelt. Zum Zentrum der Hinwendung zum Neuen wurden neben der Ile de France die Normandie und das Burgund.

Zu den frühesten Bauten des neuen – des gotischen – Stils gehörten in Deutschland die um 1230 errichtete Liebfrauenkirche in Trier und die Elisabethkirche in Marburg. Der neue Baugedanke drückte sich nicht im Grundriss aus – dieser war im Vergleich eher dem romanischen ähnlich. Die Neuerungen drücken sich vielmehr im Aufriss und der Gestaltung aus. Man überwand in der Baumasse das Massive und Schwere. Man gestaltete in eleganten Bögen die Gewölberippen, ließ sie sich kunstgerecht ausgekehlt erheben und als Finale der Säulen himmelwärts streben. Die Gotik ist das Zeitalter der Gewölbe. Historisch betrachtet ist der Gewölbebau schon zu Zeiten der Römer perfektioniert, dann aber vergessen worden. Er wurde neu erfunden und weiter entwickelt, bis er sich in der Gotik zu einem der wichtigsten Stilmittel entwickelte. Vom Schlussstein, dem obersten mittleren Stein, werden die Kräfte jeweils in einem Viertelkreis nach unten umgeleitet – bis sie senkrecht über die Mauern auf das Fundament treffen, auf dem das Gewölbe steht.

Die Bauwerke wurden höher. Sie wurden jetzt durchweg aus Steinen gebaut – es begann das Zeitalter der Steinmetze und die Vollendung ihrer Kunst. Die Steinmetze bearbeiteten mit ihren Werkzeugen und großem handwerklichem Geschick die einzelnen Steine. Die Meister fertigten das Projekt, den Grundriss. Sie fertigten Aufrisse nach bewährten geometrischen Grundsätzen.

Sie fanden das richtige Maß der aufeinander abzustimmenden Proportionen, das Verhältnis von Länge zu Breite zu Höhe des Hauptschiffes, des Chorschlusses und der sich daraus ergebenden Abmessungen für Fenster, Pfeiler und die Konstruktion der Gewölbe. Die Zeichnungen wurden übrigens für besonders knifflige Konstruktionen schon im Maßstab 1:1 gefertigt. Die Kuppel der Kirche Santa Maria del Fiore in Florenz etwa wurde auf der anderen Flussseite im Originalmaß im Sand aufgerissen, um die richtigen Proportionen zu finden. Die Baumeister waren meist tüchtige Handwerker.

Einige von ihnen hatten einen hohen Grad von Bildung und Welterfahrenheit, manche waren darüber hinaus auch Denker und Philosophen. Sie schöpften ihr Wissen aus sehr vielen – manchmal auch von dem christlichen Glauben abweichenden Quellen. Das war zur damaligen Zeit nicht gerade ungefährlich – so waren sie zur strikten Geheimhaltung verpflichtet. Da sie nicht das Recht hatten, ihre Kenntnisse auf Papier niederzuschreiben – dies war dem Klerus vorbehalten – gaben sie Ihre Erkenntnisse mündlich weiter. Strikte Geheimhaltung schützte die Eingeweihten.

Der Zirkel war des Baumeisters Werkzeug – mit dem Zirkel wurden die Verhältnisse und die Proportionen festgelegt. In dem Steinsetzbüchlein von Straßburg fand Albertus Magnus eine besondere Erwähnung. Albertus brachte den Lehrsatz des Pythagoras und seine mathematische Zahlenphilosophie für den Kirchenbau in Anwendung. Sein Lehrsatz beruhte auf der Einheit, welche er in den Achtort als dem Mysterien-Schlüssel seiner neu erdachten Baulogik legte. Diese Einheit ist nach seinem Schlüssel ein Zeichen für die Einheit Gottes. Gott ist eins, und eins ist ohne Anfang und Ende – was symbolisch durch den Zirkel oder den gerechten Kreis ausgedrückt wurde. Denn der Kreis enthält die Kraft, die Festigkeit, das beharrliche Streben, stets wieder an den ersten Ausgangspunkt zu gelangen. Der Zirkel ist demnach das wirksamste Werkzeug der praktischen Baukunst.

Albertus nahm den Achtort als Grundprinzip und System des Stils und der Konstruktion, in dessen Mitte er seinen Zirkel stellte. Geometrisch wurde der Achtort aus zwei überkreuz liegenden Quadraten entwickelt. Aus eins entspringt durch Hinzufügung von zwei drei, die Dreieinigkeit, und aus drei vier, die Zahl der Evangelisten. Die doppelte Vier an den acht Ecken der beiden Quadrate ergibt den Achtort, die in der Gotik wichtigste Figur der Architektur.

Bei der Anwendung des Pythagoras in der Konstruktion des Achtorts sind die Zahlen: 3,4,5,8, deren Grundlage oder Wurzel eins ist. Das heißt, sie liegen im Zirkel. Das rechtwinkelige Dreieck deutet die Zahl drei. Es stellt den Menschen dar und setzt ihn ins Verhältnis zum Materiellen und zum Geist des Göttlichen Prinzips.

All dieses findet in unserem Ritual bzw. in der Zeichensymbolik Anwendung und erhält dort seinen Sinn. Mathematische Formeln, Geometrie, Ableitungen und Hypotenusen sind einzelne Gesichtspunkte und die Voraussetzung zum Bauen überhaupt. Dass ein ganzes Bauwerk in seiner Einzigartigkeit so wirken kann – zeigt etwas ganz Anderes.

Wir bleiben beim Beispiel der gotischen Kirche. Man deutet die Geometrie gotischer Kirchen als Abbild des göttlichen Prinzips. Für die eingeweihten Meister war eine Kathedrale mehr als ein Bauwerk. Sie glich vielmehr einem Musikinstrument wie der Harfe, auf dem man eine erhabene Tonart hervorbringt, und man glaubte, dass alle, die das Bauwerk betrachten, ebendies auch hören würden.

Man setze sich also in den Bremer Dom – eine Harfe habe ich zu dem Zeitpunkt, als ich dort gesessen habe, nicht gehört, aber es haben sich bei mir einige Gedanken zur Freimaurerei eingestellt. Man setze sich also dorthin – in den Bremer Dom –, nehme sich Zeit und betrachte in Ruhe den Bau.

Wie hält das eigentlich alles zusammen?
Warum sieht jeder Stein so unterschiedlich aus?

  • Große Steine
  • Kleine Steine
  • Runde Steine
  • Halbrunde Steine
  • Konische Steine
  • Tragende Steine
  • Verzierungen
  • Fragmente
  • Säulen
  • Rundbögen
  • Gewölbe
  • Fenster
  • Kapitelle
  • Strebepfeiler
  • das Nordschiff
  • das Südschiff
  • Kapellen hier
  • Portale und Türen da
  • Licht, in dem alles hervortritt, Schatten, der zum Licht einen Gegenpol bildet – einen Ausgleich schafft.

Das Kräfteverhältnis muss zwingend ausgeglichen sein. Aber erst Licht bringt Schatten hervor. Ohne Licht bliebe alles im Einerlei der Dunkelheit. Bewegung setzt Ruhe Unruhe entgegen, belebt Schwere mit Leichtigkeit. Als Schönheit empfinden wir die Harmonie der Proportionen. In Betrachtung des harmonischen Bauwerks bewundern wir die Weisheit der Baumeister.

Ist das Kräfteverhältnis nicht ausgeglichen, wird das Bauwerk einstürzen. Ist nicht alles berechnet und aufeinander abgestimmt, wird es einstürzen. Wird beim Bau gepfuscht, wird das Gebäude einstürzen. Der Bau wird nur dann Bestand haben, wenn alles perfekt aufeinander abgestimmt ist, wenn alle Steine fest miteinander verbunden sind. Nur wenn die auszuführende Arbeit genau geplant ist – wenn alle Tugenden und Eigenschaften, die man dazu braucht, nach einem gemeinsamen Plan zur rechten Zeit am rechten Ort eingesetzt werden, kann das Werk bestehen; bei Einsatz von Fleiß und Ausdauer, bei Einsatz aller zur Verfügung stehenden Werkzeuge und unter der Voraussetzung, dass alle Steine passgenau bearbeitet worden und an den rechten Platz gesetzt worden sind.

Gemeinsam an dem großen Ziel zu arbeiten: an der Fertigstellung des Bauwerks in seiner schönsten Form, vollendet und perfekt, schön und erhaben.

Freimaurer bauen keine Kirchen oder andere Bauwerke. Sie bauen den Tempel der Humanität. Die Steine, die dazu gebraucht werden, sind die Menschen. Der Mensch erreicht das Ziel seiner Einheit nur, wenn die in ihm wohnenden Naturkräfte ins rechte Gleichgewicht gebracht worden sind. Sein Leben kann im freimaurerischen Sinne nur dann erfolgreich sein, wenn es zugleich harmonisch und schön geführt worden ist.

Das Geheimnis der Freimaurerei ist vielleicht dieses: das Zusammenspiel der Kräfte der Natur – und der Mensch sei bestrebt, der Harmonie des GbaW zu gleichen.

Unser Ritual bringt es mit drei Worten auf den Punkt:

  • Weisheit
  • Stärke
  • Schönheit

Weisheit, Stärke, Schönheit – Auf diesen drei Säulen soll unser Bau ruhen.

Zeichnung (Vortrag) zum 6.02.2008: Der Bau und das Bauen

In unserem Ritual erinnert der Meister vom Stuhl – für viele merkwürdigerweise – in einem Satz auch an das, oder besser gesagt an ein Gesetz. Warum eigentlich? Ich werde in dieser Zeichnung versuchen mich der Frage: „Wieso ein Gesetz und hat es eine Bedeutung für uns?“ zu nähern und eine Erklärung zu finden.

Gehen wir die Frage zunächst pragmatisch an, indem wir uns dem Gesetz über eine Definition des Oberbegriffes „Recht“ annähern: Unter Recht versteht man in einem allgemeinen Sinne die von einem Organ des Gemeinwesens gesetzte Regel, die rechtsverbindlich und für die Zukunft das Zusammenleben ordnet. Typisch ist die allgemeine Verbindlichkeit des Gesetzes, das heißt die abstrakte Formulierung der Regel für unbestimmt viele Sachverhalte und Personen. Kurz gesagt: Gesetze müssten vernünftig und für alle gleich sein.

Im Weiterschreiten der Definition stoßen wir auf die Religionen. Auch ihr Wesen beruht auf Gesetzen. Die Religionen berufen sich dabei auf die göttliche Offenbarung, auf Verordnungen der Religionsstifter, sowie auf die Traditionen. So entstehen die Normen und Vorschriften zur Regelung des religiösen und alltäglichen Lebens. Religiöse Gesetze gelten darüber hinaus jedoch als Ausdruck eines göttlichen Willens. Ihre Befolgung ist für die Mitglieder der Religionsgemeinschaften verbindlich und im Rahmen des vorherbestimmten Frömmigkeitsverständnisses auch heilsnotwendig. Sie sind auch nicht hinterfragbar, da sie sozusagen einen übermenschlichen Charakter angepasst bekommen.

Drittens sind die wissenschaftlichen Gesetze zu nennen. Hier definieren sprachliche oder mathematische Formulierung regelhafte Zusammenhänge zwischen Phänomenen aller Art. Logische Denkgesetze beschreiben die allgemeinsten Verfahrensweisen des Denkens bei der Bildung von Begriffen, Urteilen und Schlüssen oder drücken Folgerungen aus, die sich durch Anwendungen der logischen Gesetze ergeben. Die Wissenschaftstheorie unterscheidet zwischen empirischen und theoretischen beziehungsweise beschreibenden und begründenden Gesetzen. Die empirischen Gesetze, wie z. B. das Fallgesetz, stellen die Regelmäßigkeiten im Gegenstandsbereich einer Wissenschaft fest, erklären die beobachtete Verknüpfung von Beobachtungsgrößen als allgemeingültig und ermöglichen so Voraussagen über den Ausgang von Experimenten. Theoretische Gesetze, z. B. das Newtonsche Gravitationsgesetz, beschreiben und erklären den Zusammenhang einzelner empirischer Gesetze. Daneben spielen Wahrscheinlichkeitsaussagen eine bedeutende Rolle.

An dieser Stelle können wir schon feststellen, dass der Begriff „Gesetz“ eine wirkungsmächtigere Aussage trifft als die Begriffe; Verordnung, Satzung oder Statut. Bei einer Verordnung wird nur eine Regelung des Verfahrens in bestimmten Fällen angedeutet. Satzung ist ein altes deutsches Wort, das die rechtlichen Bestimmungen bezeichnete, auf die irgendeine große Körperschaft, Universität, Ritterorden, Zünfte, Innungen usw. gestiftet worden waren. Bei Gründung von Gesellschaften verwendet man gewöhnlich das Wort „Statuten“. All diese Begriffe haben aber nur eine eingeschränkte Bedeutung. Nur wenn wir das Wort Gesetz hören, empfinden wir dabei eine unbedingte Verbindlichkeit und setzen es in Zusammenhang mit einer höheren Bedeutung.

In der Freimaurerei kennen wir in unserem System mehrere Arten von Gesetzen: ethische wie die „Alten Pflichten“, begründet auf den Landmarken – und unsere jeweiligen Satzungen und Hausgesetze. Ethik und auch die „Alten Pflichten“ regeln unsere elementaren ideellen Ansprüche, die Satzungen und Hausgesetze decken notwendigerweise die vereinsrechtliche Seite ab.

Letztere sind imgrunde hinreichend damit erklärt, dass sie eine administrative Notwendigkeit sind, obgleich kritisch anzumerken ist, dass sich in der Freimaurerei Logen gerne mit vereinsrechtlichen Kleinigkeiten auseinandersetzen und darüber den Kern der Maurerei vergessen. Hier gilt es immer wieder darauf zu verweisen, dass jene administrativen Notwendigkeiten, also unsere Satzungen und Hausgesetze, uns erst in die Lage versetzen, nicht als Winkellogen unser Dasein zu fristen, sondern als anerkannte, meist eingetragene Vereine in der Öffentlichkeit unter dem Dach einer Großloge aufzutreten. Zu fragen ist hier auch immer wieder, welchen juristischen und esoterischen Wildwuchs wir zu befürchten hätten, wenn nicht ein Organ wie die Großloge die Voraussetzungen für die vereinstechnische wie freimaurerische Ordnungsmäßigkeit schaffen würde. Wobei zu betonen ist, dass die Großloge regelnd und nicht reglementierend eingreift. Hierbei geht es nicht um kleinkarierte Satzungsdiskussionen, sondern um juristische Notwendigkeiten, auf die die Großloge zu achten hat, um nach außen, wie nach innen, die Rechtlichkeit der Freimaurerei und damit der einzelnen Logen zu gewährleisten. Sicher wird jeder der Feststellung zustimmen, erst wenn wir vereinsrechtlich auf der sicheren Seite sind, ersparen wir uns unnötige Schwierigkeiten. Schwierigkeiten überdies, die uns davon abhalten, unserer eigentlichen Aufgabe nachzukommen.

In der Freimaurerei setzen wir uns aber nicht hauptsächlich mit den bürgerlichen Gesetzen auseinander – zumindest sollten wir es nicht, sondern mit einer Art höherem Gesetz. Werfen wir dazu einen Blick in unser Ritual. Hier stoßen wir bei der Eröffnung der Tempelarbeit auf den Satz: „Das Gesetz nur kann uns Freiheit geben“. Welches Gesetz ist gemeint? Das Hausgesetz? Die Freimaurerische Ordnung? Das Sittengesetz, auf das unsere Idee gründet – oder das Gesetz, auf das das „Buch des Heiligen Gesetzes“ aufgebaut ist? Nähern wir uns der Sache mit unserem geistigen Ahnherrn Goethe. Aus seinem Gedicht „Natur und Kunst“ stammt der Satz, den wir in unserem Ritual zitieren: „Das Gesetz nur kann uns Freiheit geben“.

Goethe veranschaulicht in seinem Sonett, dass Natur und Kunst nur zusammen etwas bewirken können. Der Mensch soll demnach nicht nur einzelne Tugenden besitzen, sondern alle menschlichen Kräfte ausbilden, wie Gefühl und Verstand, künstlerisches Empfinden und wissenschaftliches Denken, theoretisches Erfassen und praktische Umsetzung. Zwischen diesen Fähigkeiten soll er schließlich das gesunde Mittelmaß finden. Als Erkenntnis ergibt sich daraus, dass man, um ein Ziel erreichen zu können, aktiv werden muss. Ohne Taten wird man keine Veränderung vollbringen und somit auch nichts an seinem Zustand verbessern. Oder um es mit Goethes Worten zu sagen: „Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!“ Insbesondere in der letzten Strophe wird noch mal Goethes Intention erkennbar. Nur wer bemüht ist und nicht vom Weg abkommt; nur wer sein Ziel nie aus den Augen lässt, wird in der Lage sein, alles zu schaffen, was er sich vorgenommen hat. Zitat: „Wer Großes will, muss sich zusammenraffen; in der Beschränkung zeigt sich erst der Meister. Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“

Es geht also um mehr als um eine rein juristische Gesetzgebung. Kurz gesagt, es geht um die Begründung und Formulierung eines allgemeinen Sittengesetzes. Mit der Vorstellung einer solchen allgemeinen Gesetzgebung hängt unmittelbar die Idee der Menschheit zusammen, die der Mensch als das Urbild seiner Handlungen in seiner Seele trägt, und die auch wohl geradezu mit dem Gesetz identifiziert wird. Der Mensch ist in diesem Zusammenhang aber nicht bloß das Objekt der Betrachtung, er selbst ist der Schöpfer des Sittengesetzes. Er bringt durch seine Erkenntniskraft eine allgemeine Gesetzgebung erst hervor. Die Idee der Freimaurerei wird nun, indem sie auf die eigene Person zurückbezogen wird, zur Idee der „Menschheit in uns selbst“, das heißt unserer Persönlichkeit. Das formale Gerüst, das uns die Freimaurerei dabei an die Hand gibt, enthüllt uns unser »eigentliches Selbst«, unsere »bessere Person«, unsere »Würde« – oder maurerisch gesagt: die Arbeit am rauen Stein lässt uns das Gesetz erkennen. Goethe spricht im „Faust“ von der Suche nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. Dieses Innerste steht in einem direkten Bezug zu unserem inneren Selbst. Kant spricht vom „gestirnten Himmel über uns und dem moralischen Gesetz in uns“. Insofern handelt sich um ein Gesetz, das unserer raumzeitlichen Erkenntnismaßstäbe bedarf, um nicht an juristischen Spitzfindigkeiten zu scheitern.

Dennoch weist dieser Tatbestand nicht darauf hin, dass wir im Unerklärlichen bleiben müssen wie es Religionen naturgemäß aus ihrem Rechtfertigungszwang heraus tun. Für die Freimaurerei steht die „diesseitige Welt“, also die Welt der Körperlichkeit und Stofflichkeit, nicht im Kampf mit der „jenseitigen Welt“, der Welt der metaphysischen Realität, sondern die diesseitige Welt ist der Ort unserer Handlung, sie wird von uns geformt und erfüllt. Wenn wir also in diesem Sinn von Gesetz oder Gesetzmäßigkeiten reden, tun wir das nicht im weihrauchgeschwängerter Nebelhaftigkeit, sondern im direkten Bezug auf die praktische Handlung, die aus unserer humanistischen Gesinnung erfolgt. Freimaurerei ist hierbei das Instrumentarium, dessen wir uns bedienen um dieses Gesetz Stück für Stück für uns zu erschließen.

Fraglos stoßen wir dabei zwangsläufig an unsere Grenzen. Das heißt, wir gelangen in unserem Bestreben an einen Punkt, der nicht mehr zu erklären ist. Wir begreifen nur seine Unbegreiflichkeit. Jedoch, im Unterschied zu religiösen oder esoterischen Gruppierungen versuchen wir als Freimaurer, dieses Gesetz mit unserem Handwerkzeug zu ergründen. Ich möchte dieses Tun mit einer kurzen Erzählung von Franz Kafka erläutern.

Sie heißt „Vor dem Gesetz“ und handelt von einem Mann, der vor das Gesetz tritt. Davor steht ein grimmiger Torhüter. Der Mann bittet um Einlass, aber der Torhüter verweigert ihn, obwohl das Tor zum Gesetz offen steht. Davon lässt sich der Mann einschüchtern und wartet. Hin und wieder unterzieht der Torhüter dem Mann kleineren Verhören, sagt zum Schluss jedoch immer, dass er ihn noch nicht einlassen könne. Kurz vor seinem Tod fragt der Mann: „Alle streben doch nach dem Gesetz, wieso kommt es, dass in den vielen Jahren niemand außer mir Einlass verlangt hat“. Der Türhüter erkennt, dass der Mann am Ende ist, und er muss brüllen, um ihn noch zu erreichen: „Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.“, sagt er.

Was ich damit verdeutlichen will: würden wir bei religiösen oder esoterischen Betrachtungen verharren, würde es uns gehen wie dem Mann vor dem Gesetz. Wir würden zwar bis vor die Tor des Gesetzes gelangen, aber dann angstgesteuert unseren Erkenntnisprozess abbrechen.

Der Gedanke der Humanität beschreibt am besten das Verhältnis des Menschen zu beiden Welten. Das Gesetz der Erkenntnis soll hierfür den Weg bahnen; denn die Beherrschung dieser Welt ist nicht abhängig von einer religiösen Wahrnehmung. Die freimaurerische Ethik kann somit genauer bestimmt werden als ein Himmel oder Hölle, weil sie die humanistischen Gesetze für die Beziehung vernünftiger Wesen zueinander benennt. Sie macht dies nicht per Vorschrift, sondern sie gibt durch Symbole und Allegorien das Handwerkszeug, um diese Idee zu entwickeln. Fraglos bleibt eine solche Idee nur ein Ideal, aber sie ist dennoch brauchbar. Sie ist sozusagen eine praktische Anleitung, um eine menschengerechte Welt entstehen zu lassen.

Bei unserer Aufnahme geben wir eine Willenserklärung ab, das Gesetz zu achten. Es wird sozusagen durch diesen Vollzug zu einer verpflichtenden Kraft. Wir sollten uns ruhig hin und wieder mit dem Gelöbnis auseinandersetzen, um die Kraft des Gesetzes zu erspüren. Dabei geht es nicht um den erhobenen Zeigefinger, der uns ermahnen will, sondern um einen Fingerzeig, der uns zu neuer Erkenntnis verhilft. Oder um es noch mal mit Goethe zu sagen: Das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.

Handreichungen

Vor dem Gesetz von Franz Kafka

Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, dass er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt, ob er also später nicht gewähren dürfen. „Es ist möglich“, sagt der Türhüter, „jetzt aber nicht.“ Da das Tor zum Gesetz offen steht wie immer und der Türhüter beiseite tritt, bückt sich der Mann, um durch das Tor in das Innere zu sehen. Als der Türhüter das merkt, lacht er und sagt: „Wenn es dich so lockt, versuche es trotz meines Verbotes hineinzugehen. Man merke aber: Ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Türhüter. Von Saal zu Saal stehen aber Türhüter, einer ist mächtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kann ich nicht ertragen.“ Solche Schwierigkeiten hat der Mann vom Lande nicht erwartet; das Gesetz soll doch jedem und immer zugänglich sein, denkt er, aber als er jetzt den Türhüter in seinem Pelzmantel genauer ansieht, seine große Spitznase, den langen, dünnen, schwarzen tatarischen Bart, entschließt er sich doch lieber zu warten, bis er die Erlaubnis zum Eintritt bekommt. Der Türhüter gibt ihm einen Schemel und lässt ihn seitwärts von der Tür sich niedersetzen. Dort sitzt er Tage und Jahre. Er macht viele Versuche, eingelassen zu werden und ermüdet den Türhüter durch seine Bitten. Der Türhüter stellt öfters kleine Verhöre mit ihm an, fragt ihn über seine Heimat aus und nach vielem anderen, es sind aber teilnahmslose Fragen, wie sie große Herren stellen, und zum Schluss sagt er ihm immer wieder, dass er ihn noch nicht einlassen könne. Der Mann, der sich für seine Reise mit vielem ausgerüstet hat, verwendet alles, und sei es noch so wertvoll, um den Türhüter zu bestechen. Dieser nimmt zwar alles an, aber sagt dabei: „Ich nehme es nur an, damit du nicht glaubst, etwas versäumt zu haben.“ Während der vielen Jahre beobachtet der Mann den Türhüter fast ununterbrochen. Er vergisst die anderen Türhüter, und dieser erste scheint ihm das einzige Hindernis für den Eintritt in das Gesetz. Er verflucht den unglücklichen Zufall, in den Jahren rücksichtslos und laut, später, als er alt wird, brummt er nur noch vor sich hin. Er wird kindisch, und, da er in dem jahrelangen Studium des Türhüters auch Flöhe in seinem Pelzkragen erkannt hat, bittet er auch die Flöhe, ihm zu helfen und den Türhüter umzustimmen. Schließlich wird sein Augenlicht schwach, und er weiß nicht, ob es um ihn wirklich dunkler wird oder ob ihn nur seine Augen täuschen. Wohl aber erkennt er jetzt im Dunkel einen Glanz, der unverlöschlich aus der Türe des Gesetzes bricht. Nun lebt er nicht mehr lange. Vor seinem Tode sammeln sich in seinem Kopfe alle Erfahrungen der ganzen Zeit zu einer Frage, die er bisher an den Türhüter noch nicht gestellt hat. Er winkt ihm zu, da er seinen erstarrenden Körper nicht mehr aufrichten kann. Der Türhüter muss sich tief zu ihm hinunterneigen, denn der Größenunterschied hat sich sehr zuungunsten des Mannes verändert. „Was willst du denn jetzt noch wissen?“, fragt der Türhüter, „du bist wirklich unersättlich.“ „Alle streben doch nach dem Gesetz.“, sagt der Mann, „wieso kommt es, dass in den vielen Jahren niemand außer mir Einlaß verlangt hat?“ Der Türhüter erkennt, dass der Mann schon an seinem Ende ist, und, um sein vergehendes Gehör noch zu erreichen, brüllt er ihn an, „Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.“

Natur und Kunst, Johann Wolfgang Goethe

Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen
und haben sich, eh’ man es denkt, gefunden;
der Widerwille ist auch mir verschwunden,
und beide scheinen gleich mich anzuziehen.

Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!
Und wenn wir erst in abgemessnen Stunden
mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden,
mag frei Natur im Herzen wieder glühen.

So ist’s mit aller Bildung auch beschaffen:
Vergebens werden ungebundne Geister
nach der Vollendung reiner Höhe streben.

Wer Großes will, muss sich zusammenraffen;
in der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.

Zeichnung (Vortrag) zum 29sten Stiftungsfest (05.12.2007): Gesetz und Freimaurerei Vortrag als PDF